Geschichte der Juden in Blomberg
Jüdische Bürger waren in Deutschland lange Zeit Teil des gesellschaftlichen und geschäftlichen Lebens.Doch wie sah das in Blomberg aus? Grund genug für eine Spurensuche in der Nelkenstadt.
Geschichte
In Lippe hatten sich zwischen 1563 und 1613, also in der Regentschaft Simons VI., etwa 30 jüdische Familien gegen Erwerb eines Schutzbriefes niedergelassen. Für Simon VI. war das eine lukrative Einnahmequelle. Zudem agierten sogenannte Hofjuden als Finanziers des lippischen Landesherrn.
Die Schutzbriefe erlaubten die Niederlassung jedoch nur mit deutlichen Einschränkungen der Rechte. Den Juden war der Eintritt in die Zünfte verwehrt und sie konnten lediglich als Händler, Pfandleiher und in gewissem Umfang als Schlachter tätig sein. Der Erwerb von Grund- und Hausbesitz war ihnen grundsätzlich verwehrt. Als Simon 1613 starb, folgte unter dessen Sohn zunächst die Enteignung und im Februar 1614 dann die Vertreibung aller Juden aus Lippe – darunter waren auch die wenigen jüdischen Familien, die sich Ende des 16. Jahrhunderts in Blomberg niedergelassen hatten.
Bevölkerungsentwicklung und rechtliche Gleichstellung
Nach der Vertreibung siedelten sich nach und nach in Lippe und auch in Blomberg wieder jüdische Familien an. Im Jahre 1690 waren zwei Schutzjuden (also zwei jüdische Familien) in Blomberg ansässig. Diese Zahl erhöhte sich 1722 auf sechs, 1766 auf elf.
1871 bedeutete die Deutsche Reichsverfassung die formale Gleichstellung mit anderen Bürgern. In Lippe gab es die rechtliche Gleichstellung bereits 1858 per Gesetz (Emanzipationsgesetz) – allerdings mit Einschränkungen, was beispielsweise die Berufswahl anbetraf. Trotzdem blieben die Juden in Blomberg nur eine Minderheit. Der Blick in die historische Bevölkerungsstatistik verrät, dass 1858 von 2039 Menschen in der Nelkenstadt lediglich 23 jüdischen Glaubens waren. 1890 stieg diese Zahl auf 50 (von 2778), um bis 1925 auf elf (von 3995), 1933 sogar bis auf sechs (von 4724) zu sinken.
Im Emanzipationsgesetz ging es zudem auch um die Organisation der Synagogengemeinden und der Landjudenschaft. Unter anderem musste demnach jeder Jude einer Synagogengemeinde angehören und finanziell anteilig für Unterhalt und verschiedene Ausgaben aufkommen. 1859 wurde die Blomberg-Cappelsche Synagogengemeinde gegründet, 1880 in eine Cappelsche und eine Blomberger gesplittet und 1905 in der Blomberger vereinigt.
Darüber hinaus damals für Juden interessant: Sie konnten durch besagtes Gesetz das Bürgerrecht erwerben, was in Blomberg erstmals 1864 durch Moses Abraham Weinberg geschah.
Fortschreitende Integration
Im Gegensatz zu anderen Städten gab es in der Nelkenstadt kein Getto. „Die Juden wohnten, da sie Handel trieben, bevorzugt an den beiden Hauptdurchgangsstraßen Langer und Kurzer Steinweg“, weiß Stadtarchivar Dieter Zoremba zu berichten.
Auch das Handelsgeschäft der jüdischen Familie Königheim hatte laut Zoremba seinen Sitz zunächst am Langen Steinweg, ab 1892 dann am Kurzen Steinweg. Und auch am gesellschaftlichen Leben nahm die jüdische Bevölkerung nach und nach mehr teil. Beispiele hierfür sind der jüdische Gemeindevorsteher Gerson Stahl, der es bis zum Stadtverordnetenvorsteher brachte, Abraham Lipper, der sich im Sportverein engagierte und Gustav Königheim als Angehöriger der Freiwilligen Feuerwehr und als Offizier des Alten Blomberger Schützenbataillons.
Juden in Blomberg: Schicksal der Familie Königheim und von Emma Lipper
Seit Mitte des 19. Jahrhunderts lebte die Familie Königheim in Blomberg – und gehörte hier seit Ende des 19. Jahrhunderts zur gesellschaftlichen Oberschicht. Gustav Königheim war, wie bereits erwähnt, Mitglied in Feuerwehr und Schützenbataillon. Auch zog er als Soldat in den Ersten Weltkrieg – wie übrigens viele seiner patriotischen Glaubensbrüder –, erhielt zahlreiche Auszeichnungen wie das Eiserne Kreuz oder das Ehrenkreuz für Frontkämpfer und verlor in Frankreich seinen Bruder Julius, der 1918 fiel.
Das ist heutzutage noch der Inschrift eines Kriegerdenkmals auf dem alten Friedhof an der Heutorstraße zu entnehmen. Die Königheims waren geschäftlich erfolgreich mit Schlachterei und Viehhandel.
Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 änderten sich die Lebensbedingungen der Juden aber radikal. Zu diesem Zeitpunkt waren nur noch die Familie Königheim und Emma Lipper in Blomberg ansässig. Ende Juli 1933 tauchten nachts plötzlich SA- und SS-Männer vor dem Haus Gustav Königheims auf. „Der rief daraufhin den hiesigen Wachtmeister an. Anstatt ihm zu helfen, nahm der ihn aber bis zum nächsten Tag fest“, unterstreicht Stadtarchivar Zoremba das damals herrschende Unrecht.
Die Königheims wurden in der Folgezeit immer mehr gemieden, mussten ihr Geschäft 1934 schließlich aufgeben und zogen an die Kuhstraße. Im August 1935 sorgte der damalige Bürgermeister mit verschiedenen Anweisungen für die weitere Ausgrenzung und es wurde eine Tafel mit der Aufschrift „Juden sind hier unerwünscht“ am Niederntor angebracht.
Veranlasst durch den ständig wachsenden Antisemitismus wanderte die Familie 1937 nach Argentinien aus. Emma Lipper war nun die einzige Jüdin in Blomberg, bis sie 1940 in ein jüdisches Altersheim nach Unna eingewiesen und von dort aus zwei Jahre später nach Theresienstadt deportiert und anschließend mit einem Todestransport nach Minsk geschickt wurde. Nachfahren von Gustav Königheim wohnen noch heute in Israel und Argentinien.
Jüdische Relikte in der Nelkenstadt
Die einzigen Relikte aus der jüdischen Vergangenheit Blombergs sind der Friedhof an der Reinickendorferstraße und die einstige Synagoge im Siebenbürgen. Besagtes jüdisches Gotteshaus, in dem sich mittlerweile auch Gedenktafeln befinden, die an Emma Lipper und die Familie Königheim erinnern, wurde 1808 errichtet und ist nur deshalb 1938 nicht zerstört worden, weil es bereits zu Beginn der 1920er-Jahre nur noch Wohnhaus war.
1983 entdeckte man dann die in Vergessenheit geratene Synagoge, die heute als Stadtarchiv dient – wobei der Gebetsraum mit Thoraschrank und Frauenempore noch erhalten ist.
Der Friedhof auf dem Hamburger Berg, auf dem sich unter anderem die Gräber von Markus und Rieke Königheim (Eltern von Gustav) befinden, hatte seinen 1895 geschlossenen Vorgänger an der Ecke Heutorstraße/Rosenstraße. Ehemalige jüdische Begräbnisplätze gibt es auch noch in Cappel und Reelkirchen.
Quelle: Rouven Theiß